HomeHomeInterviews"Anschauung ist der zentrale Schlüsselbegriff, um zu verstehen, was Astrologie ausmacht."

"Anschauung ist der zentrale Schlüsselbegriff, um zu verstehen, was Astrologie ausmacht."

Philip Schiffmann im Gespräch mit Christopher A. Weidner

Christopher A. Weidner ragt unter jungen Astrologen heraus dank folgender Eigenschaften: Seine Astrologie ist stets - dank entsprechender Kenntnisse - astronomisch fundiert und konsistent formuliert.
 
Er ist Dozent der "Schule für Transpersonale Astrologie" unter der Leitung von Michael Roscher und veröffentlicht zahlreiche Bücher zu astrologischen Themen. Seine Artikel sind dadurch ausgezeichnet, dass sie klar und verständlich sind und eigentlich immer sehr lehrreich. Christopher begleitet Sternwelten bereits seit mehr als einem Jahr immer wieder mit inhaltsvollen Artikeln. Seine Internetseite "Phönix Astrologie" war bereits im März 2001 Astrolink des Monats. Neben den hervorragenden astronomischen Einführungen in die Häusersysteme und den Häuserglossar publizierte er auch einen Kurs für Einsteiger. Das Interview fand 2003 statt.

Philip: Wie war Dein Weg zur Astrologie? Oder was war die Ursache, dass Du Dich...

Christopher: Ganz genau weiß ich es eigentlich nicht, denn ich kam schon sehr früh zur Astrologie und das mehr im Sinne einer "natürlichen" Entwicklung, weil die Art und Weise, mit der es möglich ist, die Welt mit Hilfe von Astrologie zu betrachten, offensichtlich sehr meinem Wesen entspricht. Ich denke, ich werde vierzehn oder sechzehn Jahre alt gewesen sein, als mich mein Interesse für alles Geheimnisvolle und Mysteriöse auch auf die Pfade der Astrologie schickte. Damals aber war Astrologie noch nicht mein Hauptthema, sondern ein Mysterium unter vielen. Überhaupt konnte ich damals nur in Kategorien von "Geheimnissen" denken - heute sehe ich das anders. Da gab es auch noch die Kabbalah, das Tarot, die Alchemie, die mich jahrelang begleiteten. Irgendwann merkte ich jedoch, dass das, was ich wirklich suchte, am deutlichsten in der Astrologie zu finden ist: ein System, um meine Erfahrungen in der Welt sinnvoll zu beschreiben und zu verstehen. Schließlich hatte nur noch die Astrologie Bestand.

Philip: An Deinen Artikeln merkt man die Liebe zur Astrologie. Folgende Frage könnte Bücher füllen, bitte versuche es in treffender Kürze: Wie definierst Du Astrologie?

Christopher: Astrologie ist der Versuch des Menschen, den ungeregelten Flusse des Erlebens seiner Existenz auf der Erde mit Hilfe der offensichtlichen Ordnung der Bewegung des Himmels zu verstehen. Dabei bedient sich Astrologie der Sprache der Sterne, und damit ist gemeint: eine Bildersprache, die sich an der Anschauung des Himmels orientiert. Anschauung ist überhaupt der zentrale Schlüsselbegriff, um zu verstehen, was Astrologie vor allen anderen mantischen Künsten ausmacht. Anschauung bedeutet: etwas beobachten und diesem zugleich eine Bedeutung für das Leben zu geben, ohne es dabei zu bewerten.

Philip: Es scheint mir, dass Du am ehesten der klassischen Form der Astrologie zugetan bist, könnte das stimmen?

Christopher: Das stimmt und das stimmt auch wieder nicht. Ich denke, dass wir uns ohnehin von der wirklich klassischen Astrologie im letzten Jahrhundert weit entfernt haben, denn niemand kann bestreiten, dass sich der Einfluss der psychologischen Astrologie sehr deutlich auch auf das Verständnis der Astrologie im Allgemeinen ausgewirkt hat. Ich bin vielleicht am ehesten deshalb als klassisch orientiert zu bezeichnen, weil ich mich Modetrends gegenüber sehr skeptisch verhalte und mich auch von der esoterischen Astrologie gerne deutlich distanziere, die in meinen Augen eine Verwässerung des alten Wissens ins Beliebige darstellt. Ich schätze die klassische Astrologie für ihre Klarheit und für ihr Bemühen um Exaktheit und Konkretisierbarkeit. Immer wieder vermögen mich klassische Autoren zu begeistern, weil sie eine Ernsthaftigkeit an den Tag legen, die vielen heute Schreibenden fehlt, die aber wieder im Vormarsch ist nach all der Zuckerwatte, mit der man die Menschen in den letzten Jahren immer wieder abgespeist hat. Nicht zuletzt verdanke ich meinen eher klassisch orientierten Ansatz, der versucht, sich immer wieder an bestimmten klar umrissenen Grundsätzen auszurichten, meiner Ausbildung bei Michael Roscher. Dort habe ich gelernt, kritisch zu sein, aber zugleich auch offen für Neues.

Philip: C.G. Jung schrieb, dass die Astrologie an die Pforten der Universitäten klopft. Wie siehst du die aktuelle Situation (Indien, Frankreich, usw.)?

Christopher: Da denke ich, ist das noch zu früh. Astrologie ist weit davon entfernt, eine Wissenschaft zu sein. Und vielleicht ist das auch gut so. Ich sehe ihre Rolle gar nicht so sehr an den Universitäten, sondern in einem Zwischenbereich zwischen Hochwissen und Alltagswissen, zwei Bereiche, zwischen denen sie ununterbochen changiert. Sie ähnelt dabei vielleicht am ehesten der Psychologie oder der Philosophie, wobei ihr Ansatz umfassender als der der Psychologie ist und eingeschränkter als der der Philosophie.

Philip: In teilweise dubiosen Wald- und Wiesen- Internetseiten taucht immer wieder die Bezeichnung "diplomierte(r) Astrologe(in)" auf. Macht es Sinn außerhalb staatlich sanktionierter Institutionen Diplome zu vergeben?

Christopher: In unseren Breiten würde ich sagen: Ja. Das liegt daran, dass ein Diplom zweierlei Effekte hat. Einmal wirkt es auf den, der ein solches Diplom erwirbt, wie eine Einweihung in einen Berufsstand. Damit ist bis zu einem gewissen Grade zumindest gesichert, dass der Mensch, der sich ein Diplom erarbeitet, ernsthaftes Interesse an der Astrologie hat und sich Gedanken gemacht hat, wie er dieses Bemühen an andere sichtbar weitergibt. Zum Anderen hat es einen Effekt nach außen, denn es wirkt wie ein Merkmal der Seriosität auf den Menschen, der sich Rat von einem kompetenten Astrologen sucht. Wonach sollte er sich denn richten? Es gibt nunmal keine staatlich sanktionierten Titel für Astrologen. Und die Mitgliedschaft in einem Verein ist auch noch keine Garantie. Das Diplom ermöglicht es dem Laien zu erkennen, dass hier jemand Astrologie auf einem anderen Niveau betreibt, als die Boulevardpresse. Freilich schützt das nicht davor, an einen schlechten Astrologen zu geraten. Aber das ist bei den Psycholgen und Ärzten ja nicht anders.
 
Philip: Du arbeitest an astrologischer Ausbildung. Was ist Dir wichtig Deinen Schülern mitzugeben?

Christopher: Eigenständiges Denken in Bildern und das Entwickeln einer eigenen Sprache in der Astrologie. Es ist für mich immer wieder erschütternd zu beobachten, wie SchülerInnen bestimmter Schulen der Astrologie über ein schon fast genormtes Vokabular verfügen. Wenn man weiß, wie Sprache unsere Sicht der Wirklichkeit prägt, formt und auch verformt, so halte ich das fast schon für eine Manipulation des Anderen. Astrologie darf in meinen Augen alles Mögliche sein - eins aber hat sie nicht verdient: zu einer Ideologie degradiert zu werden. Astrologie muss offen bleiben für nomadisches Denken und dieses Gefühl versuche ich meinen SchülerInnen weiter zu geben. Jeder von ihnen sollte sich im Klaren darüber sein, dass Astrologie nicht "fertig" ist, sondern sich mit den Menschen, die sie anwenden, weiter entwickeln wird. Wer Astrologie betreibt, übernimmt gewissermaßen auch Verantwortung dafür, was mit ihr geschieht und wozu sie verwendet wird.

Philip: Einige Deiner Bücher wenden sich im Gegensatz zu einschlägigen Artikeln an ein breiteres Publikum. Wie denkst Du hat sich die Astrologie in der heutigen Gesellschaft zu positionieren?

Christopher: Eine schwieriege Frage, weil ich sie von Mal zu Mal anders beantworten muss.Ich arbeite im Augenblick sehr intensiv mit Fachleuten aus dem Bereich der Lebenshilfe und der Persönlichkeitsentwicklung zusammen, die aus ganz anderen Zusammenhängen kommen wie der Pädagogik und der Psychologie. Ich spüre immer wieder die Vorbehalte dieser Menschen gegen die Astrologie, obwohl sie selbst mit Mitteln arbeiten, die ich ebenso am Rande der Wissenschaftlichkeit angesiedelt sehe. Es ist schwer, hier einen Platz einzunehmen, sich richtig zu platzieren. Das haben Nicole Truckenbrodt und ich deutlich bei der Präsentation "Der Weg der Sterne" gesehen, in der wir uns genau an der Schnittstelle zwischen Astrologie und Psychologie angesiedelt haben. Deutlich merkt man aber auch, dass den astrologisch Vorbelasteten der Brückenschlag leichter gelingt als jenen, die aus dem psychologisch-pädagogischen Bereich kommen. Als Astrologe scheint man im besten Falle einfach besser trainiert zu sein, Zusammenhänge zu erkennen und nicht so sehr das zu betonen, was Einen von Anderen trennt. Ich kann nur sagen: Es wird über kurz oder lang eine Veränderung der Gesellschaft gegenüber der Astrologie geben, die eine offenere und respektvollere Auseinandersetzung ermöglicht. Doch dazu bedarf es erstens noch mehr Astrologen, die sich dazu berufen fühlen, für Astrologie in der Gesellschaft kompetent einzutreten, und zweitens ein klareres Verständnis darüber, was Astrologie ist und was nicht, damit wir wissen, worüber wir sprechen. Ich sehe jedoch den Aufklärungswillen bei vielen meiner KollegInnen eher schwach ausgeprägt. Sie behandeln Astrologie nach wie vor wie eine Geheimwissenschaft, die sie nicht ist. Das empfinde ich als sehr elitär. Doch gerade in der jüngeren Generation sehe ich wieder viele AstrologInnen, die einen anderen Weg gehen wollen. Wichtig ist, dass wir der Gesellschaft Astrologie nicht vorenthalten, indem wir sie zu einer komplizierten Technik stilisieren. Astrologie sollte sich deshalb immer so positionieren, dass sie die Erfahrungswelt der Menschen, so wie sie jetzt und hier sind, spiegelt. Nur dann werden sie auch sehen, was Astrologie ihnen bringen kann. Astrologie ist sehr vielfältig und hat viele Facetten. Aber sie ist nicht beliebig. Es ist ein bisschen wie in der Literatur: Es gibt Bücher für ein breites Publikum und es gibt Bücher für ein enges Publikum. Das eine ist nicht schlechter als das andere, aber weil ich die Wahl habe, kann ich das Eine tun, ohne das Andere lassen zu müssen.

Philip: In englisch-sprachigen Ländern und in Frankreich ist eine starke Tendenz zur Erforschung der astrologischen Klassiker der Antike und Renaissance zu spüren. In Deutschland ist dieser Trend bis auf das Lehrbuch der klassischen Astrologie noch kaum spürbar. Was fehlt uns hier diesbezüglich?

Christopher: Ich glaube uns fehlt das Material. Die Situation auf dem deutschen Buchmarkt ist katastrophal, weil bis auf Spartenverlage niemand mehr Interesse hat, Klassiker zu verlegen. Man will leichte Kost, damit die Umsatzzahlen stimmen. Das ist bedauerlich und schafft eine Situation, in der Information über die historischen Zusammenhänge und das alte Wissen nicht so einfach verfügbar sind. Das Problem ist, dass jeder, der sich mit Astrologie auseinandersetzen möchte, erstmal über die Bestseller an Astrologie herankommt. Und das sind zumeist nicht unbedingt Bücher, die ich als Einstieg empfehlen würde. Allerdings verändert das Internet einiges. Es gibt (noch) zahlreiche, zum Teil hoch motivierte AstrologInnen, die weder Kosten noch Mühen scheuen, altes und neues Wissen verfügbar zu machen.

Philip: Was Du von Lilith hältst haben wir gelesen, was denkst Du von Chiron?

Christopher: Zunächst einmal muss ich zugeben, dass ich in der Praxis weder mit Lilith noch mit Chiron arbeite. Prinzipiell muss man beides auch auseinanderhalten: Während Lilith als eine Art sensitver Punkt nur sehr schwer aus der Anschauung heraus zu erklären und zu deuten ist, haben wir für Chiron mehr Fakten auf der Hand, die eine Interpretation möglich machen, z.B. Daten über seine Umlaufbahn, vor allen Dingen aber auch das Horoskop seiner Entdeckung, welches ich als den Schlüssel zu seiner Deutung ansehe. Dennoch bin ich beiden gegenüber sehr skeptisch, insbesondere wenn wir uns nur auf die mythologische Ebene in der Deutung zurückziehen, denn auch hier gilt meines Erachtens: die Anschauung muss Vorrang vor Namensgebung habe. Dennoch reizt mich die Beschäftigung mit Chiron und auch Lilith. Ich glaube aber im Grunde, dass wir mit den "klassischen" Faktoren genug zu tun haben, und dass nicht selten die "neuen" Faktoren nur dazu verwendet werden, um die Deutungsfülle zu erhöhen. So können wir irgendwann Alles mit Jedem erklären. Der Beliebigkeit ist damit Tür und Tor geöffnet. Dem gegenüber können nur klare Prinzipien abhelfen, die deutlich eingrenzen, was astrologisch ist und was nicht.

Philip: Einige Astronomen behaupten der Status des Planeten wurde Pluto (-Charon) nur aus traditioneller, konservativer Gewohnheit nicht aberkannt. Ist seine Stellung als Planet astrologisch gerechtfertigt?

Christopher: Dazu kann ich nur sagen: Pluto ist nun schon so lange als Planet behandelt worden, dass er gewissermaßen in unserem Bewusstsein zu einem Planet geworden ist. Daran werden auch astronomische Begrifflichkeiten nichts ändern. Er ist astrologische Wirklichkeit geworden und als solcher "funktioniert" er auch. Auch wenn ich prinzipiell der Ansicht bin, dass Pluto und überhaupt allen Transsaturniern zu viel praktische Bedeutung beigemessen wird, spielt er auch in meiner Deutung eine wichtige Rolle.

Philip: Hat sich seit Beginn Deiner astrologischen Tätigkeit Deine Weltanschauung geändert? Der Grund für die Frage ist, dass Dein analythisches Denken durch den Herrn von 9 entspannt wird?

Christopher: Meine Weltanschauung hat sich, seitdem ich denken kann, ununterbrochen geändert. Seit ich Astrologie betreibe, hat sich jedoch eine gewisse Konstanz in der Entwicklung abgezeichnet, eine gewisse Systematik. Das liegt daran, dass Astrologie ein hervorragendes Instrument ist, um sich die Welt zu erklären. Zugleich ist Astrologie flexibel genug, um alle neuen Gedanken und Impulse, die mir begegnen, zu integrieren, ohne dass die Dinge, die ich vorher gedacht habe, vollends über Bord geworfen werden müssen. Astrologie hat mir geholfen zu verstehen, dass meine Weltanschauung einem fortwährenden Prozess der Wandlung unterworfen sein muss und mir zugleich gezeigt, dass es ungeachtet dessen ein geordneter Prozess sein kann.

Philip: Danke Dir Christopher für das Gespräch. Es war mir eine große Freude und wir sind gespannt auch weiterhin Online Neues von Dir zu lesen.
 
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