Nachruf auf Olga Baronin von Ungern-Sternberg.
Olga von Ungern-Sternberg, 24. November 1895, 12h56 UT, Berlin-Lichterfelde/D Quelle: Monika Heer
"Wir trauern um unsere hochverehrte, rastlos tätige, immer hilfsbereite Ärztin, Psychotherapeutin, Astrologin, Vortragsrednerin, Gastgeberin und Freundin Dr. med. Olga Baronin von Ungern-Sternberg."
Das ist der Wortlaut der Todesanzeige des Patienten- und Freundeskreises der alten Doktorin, die zwei Tage vor ihrem 102. Geburtstag am Abend des 22.11.1997 friedlich eingeschlafen ist. So hat sie nach einem langen, reichen und erfüllten Leben nun ihre letzte Reise über den Unterweltsfluß Styx hinweg angetreten, um in die geistige Welt zurückzukehren, zu der sie wohl Zeit ihres Lebens einen besonderen Zugang hatte.
Nachdem anläßlich ihres hundertsten Geburtstages ein Artikel im Meridian (6/95) erschien, in dem wichtige Stationen ihres Lebens dargestellt sind, möchte ich mit diesem Beitrag versuchen, ihre astrologische Arbeit zu beschreiben, zumal sie ja seit Sommer Ehrenmitglied des DAV war und sich über diese Ehrung sehr gefreut hat.
Ich erinnere mich, als ich in den ersten Wochen meiner "Sprechstunden-Hilfentätigkeit" bei ihr (ich hatte gerade meine Magisterprüfung in Geschichte gemacht) vier Tage alleine in der Praxis bleiben mußte, da sie sich - wie meist spontan - entschied, an einer Meditation in Glastonbury teilzunehmen. Leicht nervös fragte ich sie, was ich denn machen solle, wenn Notfall-Patienten kommen würden. "Sie machen das schon", sagte sie, "sie sind doch Astrologin, sprechen sie das heilende Wort".
Sie selbst heilte tatsächlich mit dem Wort, ich erlebte oft, wie sie den Patienten ein Rezept mit einem ihrer Gedichte mitgab oder spontan einige Verse dichtete. Und ich weiß von vielen Patienten, die diese Sprüche wie ein Mantra lange Zeit für ihren Heilungsprozeß verwandt haben. Meist gelang es der Doktorin, wie sie von vielen genannt wurde, Herz und Seele zu berühren und ihre Worte waren wie ein liebevolles Streicheln. Der Zusammenhang von Kränkung, Verletztheit und Krankheit war vor ihrem geistigen Auge immer lebendig.
Wenn sie die Patienten behandelte, kam es häufig vor, daß sie zunächst zuhörte, nur wenige Fragen stellte, und dann meist zielsicher einen Kommentar abgab, der genau den Kern des Problems berührte. Nie jedoch waren ihre Worte analytisch oder zielten daraufhin, den unbewußten Anteil ans Tageslicht zu zerren, es war immer eine Form des Einhüllens, eine humorvolle Betrachtungsweise, so als ob das Moment von Selbstakzeptanz und innerer Aussöhnung in Gang gesetzt würde.
Dazu paßt es, daß sie sich selbst nie als eine Lehrerin verstanden hat. "Ich bin ein Katalysator", pflegte sie zu sagen, und die Definition wurde gleich mitgeliefert, "ein Katalysator ist ein chemischer Stoff, der bei einem anderen Stoff eine Reaktion erzeugt, ohne selbst verbraucht zu werden".
In der Begegnung mit ihr konnte etwas im eigenen Inneren aufleuchten, was sie einmal in einem ihrer Vorträge den "Keim der Genialität in jedem Menschen" nannte. Und so war sie nicht nur Ärztin oder Psychotherapeutin oder Astrologin, sondern für viele Menschen eine Person, die Wendepunkte und Wandlungen im Leben initiierte. Deshalb ist es nicht verwunderlich, daß ihre wöchentlichen Vorträge außerordentlich gut besucht waren.
Der Ursprung ihrer Vortragstätigkeit ist Ende der sechziger Jahren zu suchen, damals hatte sie Herman Weidelener (1902-1972) auf einer Tagung für Ärzte und Seelsorger kennengelernt. Weidelener lud Olga von Ungern-Sternberg ein, auf Schloß Weidenkam Vorträge über die Mythologie des Tierkreises zu halten. "Als ich von Weidenkam zurückkam nach Bochum, wollten meine Patienten, daß ich auch für sie Vorträge halte", so schilderte sie selbst den Beginn ihrer Vortragstätigkeit. Jeden Dienstag- und Freitagabend wurden bis Ende 1989 in ihrem Praxisraum Vortragsabende abgehalten. Die Möbel wurden jedes Mal beiseite gerückt, Stühle aufgestellt und zuweilen drängten sich bis zu fünfzig Leute in einem ca. 20 qm großen Zimmer.
Die Dienstage waren wahlweise der germanischen Mythologie, der Gralsgeschichte oder Goethes Faust gewidmet. Besonders beliebt wurden jedoch die Freitagabende mit den Horoskop-Besprechungen von berühmten Persönlichkeiten. Wenn alle Besucher versammelt waren, betrat die alte Dame den Raum, einen Ebenholzstab mit eingelegter Silberspirale in ihrer rechten Hand, den obligatorischen Schal, der ihre Aura schützen sollte, um die Schultern gelegt. Und mit dem Stab zeigte sie auf die Konstellationen im Horoskop und ließ das Leben und Werk der ausgewählten Personen lebendig werden. Dabei flocht sie häufig humoristische Anekdoten aus dem Leben der Menschen ein, oder lebensnahe Beispiele aus dem Praxisalltag und dem, was sie tagtäglich mit ihren Patienten erlebte.
Viele Freundschaften sind um diese Abende herum entstanden und oft saß man nach den Vorträgen im Wohnzimmer bei einer Tasse Tee zusammen. Nachdem sie 1989 ihre Praxis wegen einer schweren Krankheit an eine Nachfolgerin übergeben mußte, konnten die Patienten sie bis zuletzt in ihrer Wohnung neben der Praxis besuchen. 1992 wurden auch die Freitagabende für ein halbes Jahr neu belebt, in kleiner Runde erzählte Olga von Ungern-Sternberg Märchen und Geschichten, die für sie eine heilsame Wirkung hatten.
So werden mir und vielen anderen diese Abende unvergessen bleiben, ebenso die Impulse, die sie den Menschen aus ihrer Sicht der kosmischen Zusammenhänge gegeben hat.
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